Dieses Video gehört zum openHPI-Kurs Digitale Medizin – Was ist ethisch verantwortbar?. Möchten Sie mehr sehen?
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- 00:00Mit Nudging und Überwachung wird klar, wir sind mit unseren Daten nicht
- 00:06alleine.
- 00:08Wir sind ständig anderen Blicken, anderen Interessen ausgeliefert und das kann
- 00:14letztendlich in negativer Art und Weise Einfluss auf unsere Fähigkeit nehmen,
- 00:20unser Handeln selbst zu bestimmen.
- 00:23Was ist also die Antwort darauf?
- 00:27Nun, ihr seht sie auf dem Bildschirm, Privatheit, das Recht darauf,
- 00:32alleingelassen zu werden, so könnte man es vielleicht beginnen.
- 00:36Und genau das schauen wir uns in diesem Video an.
- 00:40Die Idee von Privatheit als eine normative Forderung ist tatsächlich sehr, sehr alt.
- 00:48Es gibt nicht wenige Autoren, die sie bis in die Antike zurückverfolgen.
- 00:53Vorneweg, man muss ein kleines bisschen vorsichtig sein, wenn man das so macht.
- 00:57Denn Privatheit und was wir darunter verstehen, ist etwas, das sehr, sehr
- 01:01kontextabhängig ist.
- 01:04Wir können also mit Sicherheit nicht sagen, dass jemand wie Aristoteles die
- 01:08gleichen Ideen von Privatheit oder die gleichen Vorstellungen von Privatheit
- 01:13gehabt hätte, wie wir sie heute haben.
- 01:16Wir können aber sehen, dass bestimmte Grundformationen im Konzept der
- 01:21Privatheit tatsächlich bis auf Aristoteles zurückverfolgt werden können.
- 01:27In seiner Politik, einer seiner Schriften, führt Aristoteles eine Zweiteilung
- 01:33ein, nämlich die zwischen der Polis, das ist für ihn die städtische
- 01:37Gesellschaft, eine städtische Einheit des menschlichen Zusammenlebens, die er
- 01:44mit Öffentlichkeit und öffentlicher Deliberation mit Politik zusammenbringt,
- 01:50und dem Oikos auf der anderen Seite.
- 01:53Das ist die grundlegende familiäre Wirtschaftseinheit der griechischen
- 01:58Gesellschaft ein.
- 02:00Und diese Differenz, die er einführt, die ist tatsächlich sehr wichtig, denn
- 02:05während die Polis ein Raum öffentlicher Deliberation ist, steht der Oikos unter
- 02:10der Herrschaft des Hausherren und Aristoteles geht von einer ganz strikten
- 02:16Trennung dieser beiden Sphären aus.
- 02:19Im Oikos, da hat der Hausherr das Sagen und da soll ihm niemand reinreden.
- 02:25In der Polis herrschen sozusagen die Regeln der Öffentlichkeit und öffentlichen
- 02:31Deliberation.
- 02:33Diese strikte Trennung zwischen einem Innen und einem Außen, die ist
- 02:38tatsächlich sozusagen Teil der DNA des Konzeptes von Privatheit.
- 02:44Und wir können sie durch die Geschichte verfolgen.
- 02:47Wir finden sie beispielsweise bei John Locke und John Stuart Mill, zwei
- 02:53bekannte Denker, zwei bekannte libertäre Denker, die diese Grenze von Innen und
- 02:59Außen in ihrem Denken aufgreifen und sie vor allen Dingen in Stellung bringen
- 03:05in der Differenz von staatlicher Autorität, der bestimmte Dinge zugestanden
- 03:11werden in bestimmten Bereichen und Selbstbestimmung, die in anderen Bereichen
- 03:17zu gelten hat.
- 03:19Locke und Mill bringen die Idee von Innen und Außen philosophisch dabei vor
- 03:24allen Dingen mit der Idee von Besitz zusammen, das Innen definiert sich
- 03:29sozusagen durch den Bereich meines privaten Besitzes und in diesem Innen, da
- 03:35bin ich als das Individuum letztendlich derjenige, der bestimmen darf und ich
- 03:41darf mir Einflüsse von außen ein.
- 03:44Eindringen in dieses Innen, in meinen Privatbereich, letztendlich verbieten.
- 03:52Diese individualistische Tradition von Privatheit ist tatsächlich sehr
- 03:57prominent und sie zieht sich, wie gesagt, durch die Geschichte bis in die
- 04:01Neuzeit, vor allen Dingen in den angelsächsischen Traditionen, wenn es um den
- 04:06Begriff von Privatheit geht.
- 04:09Hier geht es immer um die strikte Grenzziehung zwischen einem Innen und einem
- 04:13Außen, so wie wir sie bei Aristoteles gesehen haben.
- 04:17Und ganz oft wird diese Grenze auch mit einer gewissen Natürlichkeit
- 04:21angenommen, die Grenze zwischen Heim und öffentlichem Platz und so weiter.
- 04:28Dabei ist Besitz eine der zentralen begründenden Kategorien.
- 04:34Was ich besitze, was mir gehört, was mir zusteht, das ist letztendlich der Ort,
- 04:40an dem ich Privatheit beanspruchen kann, zum Beispiel in meinem Zuhause.
- 04:46Das Problem an dieser Idee von Privatheit, sie ist zwar sehr einfach und
- 04:51illustrativ, aber sie ist auf Fragen der Privatheit von Informationen und Daten
- 04:57gar nicht so einfach zu übertragen.
- 05:01Wir können uns das vergegenwärtigen, wenn wir uns nochmal das Bild des
- 05:05Panoptikums vor Augen rufen.
- 05:08Wenn wir uns diese liberale Tradition von Privatheit vergegenwärtigen, dann
- 05:13würde Privatheit bedeuten, dass wir einfach in der Lage sind, die Tür an
- 05:17unserer Zelle zuzumachen.
- 05:19Wir können sozusagen den Deckel drauf machen.
- 05:23Aber das Panoptikum ist ja kein wirkliches Gefängnis.
- 05:26Es ist eine Metapher, die unsere Stellung in der Gesellschaft gegenüber anderen
- 05:31Informationssubjekten und im Rahmen von Machtbeziehungen verdeutlichen soll.
- 05:37Die Zelle gehört uns nicht so wirklich.
- 05:40Informationen, da ist es schwer mit dem Begriff des Besitzes zu argumentieren.
- 05:48Trotzdem ist diese Tradition durchaus auch heute noch relevant.
- 05:54Interessanterweise kommt nach Leuten wie Locke und Mill lange Zeit wenig
- 05:59Bewegung in die Privatheitsdebatte, bis etwas ganz Interessantes passiert.
- 06:04Und das hat mit dieser Zeitung zu tun.
- 06:07Das ist der Daily Graphic, eine Ausgabe von 1873.
- 06:13Der Daily Graphic war eine in New York erscheinende Zeitung.
- 06:18Es war vielleicht die erste weltweit, die täglich mithilfe einer neuen
- 06:24Technologie produziert wurde, nämlich mit Fotografien.
- 06:29Die Abbildung von Fotografien in Zeitungen war zu diesem Zeitpunkt eine
- 06:34technologische Innovation.
- 06:36Und tatsächlich führte das dazu, dass innerhalb kürzester Zeit die ersten
- 06:43Boulevardblätter erschienen, um das Interesse an den Leben und Lebensumstände
- 06:49der höheren gesellschaftlichen Kreise zu befriedigen.
- 06:52Und so tauchten irgendwann dann auch Berichte über private Veranstaltungen wie
- 06:57Hochzeiten der höheren Gesellschaftsschichten auf.
- 07:02Und in der Regel wurden diese Berichte durch Fotografien begleitet und eine
- 07:07neue Form der Pressearbeit entwickelte sich, die wir vielleicht als die Urform
- 07:13der Paparazzis bezeichnen könnten.
- 07:17Sogenannte instantaneous photographers, also Fotografen, die mit dieser
- 07:22spannenden neuen Technologie, die jetzt plötzlich auch noch mobil war, nämlich
- 07:27dem Fotoapparat, herumliefen und Fotos von Leuten bei privaten Anlässen
- 07:32machten.
- 07:34Das hat tatsächlich zu einigen Verstimmungen geführt.
- 07:40Und Warren und Brandeis, zwei Juristen aus New York, haben genau diesen Fall in
- 07:46einem berühmten Artikel zu dieser Zeit aufgegriffen.
- 07:51Warren und Brandeis stießen sich tatsächlich an genau diesen instantaneous
- 07:56photographers, die einfach Fotos von Menschen machen, die dann in Zeitungen
- 08:01veröffentlicht werden und auf diese Art und Weise in die Privatheit dieser
- 08:06Personen eingriffen.
- 08:09Etwas, was zu dieser Zeit vom Gesetz noch überhaupt gar nicht abgebildet worden war.
- 08:14Und so machten sich eben Warren und Brandeis daran, zu argumentieren, dass es
- 08:19nötig sei, dass es genau ein solches Recht gebe.
- 08:24Und wie sie das machen, das ist interessant, denn es hilft uns zu verstehen,
- 08:28wie wir zu einem detaillierteren und weitergreifenden Begriff von Privatheit kommen.
- 08:35Warren und Brandeis argumentieren, das gegenwärtige Recht deckt auf der einen
- 08:41Seite ab, dass ich mich gegen Beleidigung und Diffamierung zur Wehr setzen kann.
- 08:46Also wenn jemand Informationen über mich in der Öffentlichkeit verbreitet, die
- 08:51eher abschneidend sind, dann ist das auch 1873 vom Gesetz vollkommen gedeckt.
- 08:58Aber was ist mit Informationen, die gar keinen diffamierenden Charakter haben?
- 09:03Fragen sie wie Hochzeitsfotos beispielsweise oder Plaudereien unter Freunden,
- 09:07die dann veröffentlicht werden.
- 09:09Solche Dinge.
- 09:10Das ist eben nicht gedeckt.
- 09:13Zum Zweiten argumentieren sie, das Recht kennt auch lange Ansprüche aus Besitz
- 09:18und Urheberschaft.
- 09:19Wenn ich ein Musikstück verfasse oder ein Gemälde male, dann darf das nicht
- 09:24einfach von jemand anderem irgendwo veröffentlicht werden.
- 09:29Aber in dem Fall, der sie ärgert und der sie stört, die Instantaneous
- 09:32Photographers, da geht es eben ganz oft nicht um urheberschaftlich relevante,
- 09:38originäre Informationen.
- 09:40Oft geht es ja um eigentlich Belanglosigkeiten.
- 09:44Gossip, würde man vielleicht heute sagen.
- 09:47Warren und Brandeis schließen daraus, es gibt offensichtlich eine Lücke im
- 09:51aktuellen Recht und die ist nicht gedeckt.
- 09:54Und diese Lücke muss gedeckt werden, fordern sie.
- 09:57Sie argumentieren deswegen, dass allen Personen ein Recht zukommen soll, a
- 10:03right to be let alone, über die Verbreitung von solchen Informationen zu
- 10:08bestimmen.
- 10:09Und warum soll das so sein?
- 10:11Weil diese Personen gegenüber den Schäden geschützt werden müssen, die aus der
- 10:16Zirkulation dieser Informationen in der Öffentlichkeit entstehen können.
- 10:22Damit entwickelt sich in dem Artikel von Warren und Brandeis tatsächlich eine
- 10:27erste ganz hohe Facette von etwas, das wir heute vielleicht informationelle
- 10:32Privatheit nennen können.
- 10:35Informationelle Privatheit bedeutet, dass wir das Recht haben, über
- 10:41Informationsflüsse zu distribuieren und diese kontrollieren zu können.
- 10:48Und zwar vor allen Dingen Informationen, die mich als eigene Person betreffen können.
- 10:53Und warum sollen wir das können?
- 10:55Wie können wir das begründen?
- 10:57Weil es eine Voraussetzung von Selbstbestimmung ist.
- 11:01Das ist letztendlich der Kern der Argumentation.
- 11:04Und es ist interessant, auch wenn der Artikel von Warren und Brandeis
- 11:07tatsächlich im US-amerikanischen Kontext erschienen ist, dass diese
- 11:13umfassendere Idee von Privatheit als etwas, das eine Voraussetzung von
- 11:19Selbstbestimmung ist, sich also nicht aus Besitz ableitet.
- 11:24Etwas ist, das letztendlich im europäischen Kontext sehr viel stärker
- 11:28akzentuiert worden ist und hier sehr viel größere Bedeutung hat.
- 11:32Es gibt ein sehr interessantes Zitat, dass diese Verschiebung, die da
- 11:36argumentativ stattfindet und die uns letztendlich eine andere Facette von
- 11:40Privatheit zeigt, illustriert.
- 11:43Das ist ein Zitat von Luciano Floridi, der in Bezug auf die Form von Privatheit
- 11:50sagt, dass er letztendlich schon immer der Meinung gewesen sei, dass das My in
- 11:57My Data überhaupt nicht das gleiche ist wie das My in My Car, also Besitz,
- 12:04sondern das gleiche wie das My in My Hand.
- 12:08Und warum?
- 12:09Weil persönliche Informationen eine konstruktive Rolle dabei spielen, wer ich
- 12:14bin und wer ich werden kann.
- 12:16Sie sind also eine Voraussetzung dafür, dass ich das erreichen und tun kann,
- 12:22was ich gerne möchte und wohin ich will, nämlich Selbstbestimmung.
- 12:27Damit sehen wir eine etwas andere Facette von Privatheit als in der liberalen
- 12:32Tradition, nämlich Privatheit als eine notwendige Voraussetzung von Autonomie.
- 12:39Privatheit in diesem Sinne wird nicht mehr primär durch Besitz oder
- 12:43Urheberschaft begründet und Privatheit in diesem Sinne meint auch nicht den
- 12:51Deckel auf die Zelle, wie ich es vorhin gesagt habe, sondern eher die
- 12:55Fähigkeit, Informationsflüsse über die eigene Person kontrollieren zu können.
- 13:02Also nicht Informationsflüsse jederzeit verhindern zu können, sondern
- 13:06kontrollieren zu können.
- 13:09Darüber hinaus, und das ist eine Entwicklung, die wir in den letzten, ich würde
- 13:13mal sagen 20 Jahren gesehen haben, wird Privatheit in dieser Form auch
- 13:18zunehmend nicht mehr nur als individueller Wert, also als Teil meiner Autonomie
- 13:23verstanden, sondern es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Privatheit
- 13:27dieser Form als die Fähigkeit, Informationsflüsse zu kontrollieren, auch ein
- 13:32sozialer Wert funktionierender Gesellschaften ist.
- 13:36Und das ist ganz interessant, wenn man beispielsweise in die
- 13:40Datenschutzgrundverordnung reinschaut, dann findet man in dieser
- 13:45Datenschutzgrundverordnung einerseits die Einordnung von dem Schutz
- 13:52personenbezogener Daten als Grundrecht, also nicht derivativ vom Besitz
- 13:58abgeleitet, sondern als ein Grundrecht, das auf gleicher Stufe wie meine
- 14:02Autonomie steht.
- 14:04Und zweitens findet man darin auch den Hinweis, dass dieses Grundrecht für ein
- 14:11angemessenes Funktionieren einer sozialen Gemeinschaft notwendig ist und auch
- 14:18aus dieser Perspektive anzuerkennen ist.
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